Karl Lauterbach (SPD), Bundesgesundheitsminister, verabreicht einem Mädchen eine Impfung. Bild: Rainer Droese via www.imago-images.de
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Corona-Pandemie - Impfschäden – die Klagen und ihre Hintergründe

Die Klagewelle rollt: Wegen möglicher gesundheitlicher Schäden durch die Corona-Impfung versuchen derzeit Hunderte Menschen vor Gericht Schadensersatz und Schmerzensgeld zu erstreiten. Auch wenn Experten weiterhin betonen, dass die Impfungen sicher sind: Die Medienberichte über die Klagen und mögliche Impfschäden verunsichern viele Menschen.

Anmoderation: Corona-Impfungen sind mehr oder weniger nebenwirkungsfrei. Sage nicht ich, hat Karl Lauterbach gesagt, damals auf dem Höhepunkt der Impfkampagne. Bald danach musste er sich korrigieren: es gibt sie eben doch, die schweren Nebenwirkungen und Impfschäden. Keine Frage, die Impfung hat Leben gerettet, bis zu 20 Millionen weltweit, sagen Forscher. Und gemessen daran sind die Schäden sehr wenige, aber das ist natürlich kaum ein Trost für die, die über Schäden klagen. Viele von denen vertrauen sich vor allem einem Mann an, dessen fragwürdige Ansichten sie aber vermutlich gar nicht kennen. Wir schon:

Für Aufsehen hat Rechtsanwalt Tobias Ulbrich schon öfter gesorgt – mit Massenklagen im VW-Abgasskandal. Zurzeit ist er aber mit einem anderen Thema in den Medien:

plusminus vom 5.4.23 (Das Erste)

"Es klagen aber an deutschen Gerichten immer mehr Menschen wegen möglichen Impfschäden und fordern Schadensersatz."

"Das Leid der Covid-Impfgeschädigten" vom 10.3.23 (ZDF heute)

"Die Bundesregierung verharmlose in der Öffentlichkeit bewusst schwere Nebenwirkungen der Covid-Impfung, sagt Rechtsanwalt Tobias Ulbrich aus Düsseldorf."

Aktuelle Stunde vom 11.4.23 (WDR)

"Mittlerweile gibt es aber Tausende, die über gesundheitliche Probleme klagen. Anwalt Tobias Ulbrich kümmert sich um diese Fälle."

Wie verbreitet sind Impfschäden? Mit seinen zahlreichen Auftritten – auch in öffentlich-rechtlichen Sendern – prägt Ulbrich die Debatte mit. Offensiv wirbt er im Netz um Mandanten.

Tobias Ulbrich, Rechtsanwalt

"Mir liegen alle Menschen am Herzen, die infolge der Impfung gesundheitliche Schäden erlitten haben. Ich erzähle ihnen gleich, was sie bei uns einreichen müssen, damit wir ihre gesundheitlichen Schäden und ihre Ansprüche prüfen können."

Ulbrich ist die Hoffnung vieler, die von den Impfstoffherstellern vor Gericht Schadensersatz und Schmerzensgeld erstreiten wollen. Tausende hätten sich in seiner Kanzlei gemeldet, sagt er, mindestens 160 Klagen hätten sie schon eingereicht. Jeden Tag kämen fünf bis zehn neue dazu.

Tobias Ulbrich, Rechtsanwalt

"Wir haben die Erkenntnis gewonnen, dass sehr, sehr viele gesundheitliche Schäden immunologisch getriggert sind, also ein Zusammenhang zu immunologischen Funktion und Auswirkungen des Körpers aufzeigen. Und die ganzen Vorgänge sind sehr, sehr komplex."

Eigentlich ist Ulbrich Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht.

Per Pressemitteilung warnt seine Kanzlei vor einem "V-AIDS", an dem viele ihrer Mandanten leiden würden. Gemeint ist "Vakzin-AIDS" oder "Impf-AIDS" – eine angeblich impfbedingte Immunschwäche.

Auch in einer Kontraste vorliegenden Klage gegen Biontech schreibt die Kanzlei, der Zustand des Immunsystems ihrer Mandantin entspreche dem eines AIDS-Kranken.

Der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl, hingegen sagt: "V-AIDS" existiert nicht. Wir legen ihm Ulbrichs Klageschrift vor. Watzl kann in den angehängten Studien keine Belege für die "V-AIDS"-These finden.

Prof. Carsten Watzl, Immunologe, TU Dortmund

"Entweder wurde nicht die Impfung angeguckt, sondern die Infektion, und das sind einfach zwei unterschiedliche Dinge. Oder es werden Sachen komplett vermischt. Entweder weil man es nicht richtig verstanden hat oder weil man es absichtlich falsch darstellen will. Aber viele oder fast alle von diesen Argumenten, die da angeführt werden, sind wissenschaftlich zumindest mit den Zitaten, die sie da angeführt haben, überhaupt nicht belegt."

Tatsächlich gibt es schwere Nebenwirkungen nach einer Corona-Impfung, aber sehr selten: Myokarditis, also Herzmuskelentzündungen, zum Beispiel nach etwa jeder 50.000 mRNA-Impfung.

Wer einen dauerhaften Schaden erleidet, kann bei den Versorgungsämtern der Länder eine Entschädigung beantragen. Von 65 Millionen Geimpften haben das bislang aber nur 8.165 getan. Und erst in 335 Fällen haben die Behörden einen solchen Impfschaden anerkannt.

Immunologe Watzl zweifelt aus medizinischer Sicht an, dass Ulbrich gegen die Impfstoffhersteller vor Gericht Erfolg haben wird.

Prof. Carsten Watzl, Immunologe, TU Dortmund

"So wie man jetzt argumentiert und diese dauerhaften Veränderungen des Immunsystems durch fehlerhafte wissenschaftliche Belege versucht irgendwie nachzuweisen, ist den Menschen überhaupt nicht geholfen. Sie sind meiner Meinung nach sehr schlecht vertreten, weil zumindest wissenschaftlich, muss ich sagen, kann ich diese Argumentation überhaupt nicht nachvollziehen."

Einer der sich von Ulbrich Hilfe verspricht, ist Oliver Janke. Kurz nach der Coronaimpfung erkrankte er am "Guillain-Barré-Syndrom, einer neurologisch bedingten Muskelschwäche. Janke glaubt: Ursache ist die Impfung.

Eine erste Anwältin aber half ihm bei der Klage gegen Biontech nicht weiter. Dann stieß er auf Ulbrich.

Oliver Janke

"Da habe ich im Internet geguckt. Herr Ulbrich macht ja auch schöne Werbung. Dann haben wir, ich glaube, über zweieinhalb Stunden gesprochen und dann sind wir auf den Entschluss gekommen: Ja, wir können zusammenarbeiten."

Jankes Aussichten sind ungewiss. Aktuelle Daten zeigen kein vermehrtes Auftreten des Guillain-Barré-Syndroms nach Corona-Impfungen mit mRNA-Stoffen. Janke aber will die Klage durchziehen. Für Anwalt und Prozess rechnet er mit Kosten von mindestens 30.000 Euro.

Oliver Janke

"Wenn ich verlieren würde, muss ich natürlich die Gerichtskosten zahlen. Aber meine Rechtsschutzversicherung, die geht halt auch sehr weit mit."

Der Jurist Martin Huff führte bis vor Kurzem die Rechtsanwaltskammer Köln und war zeitweise auch zuständig für Ulbrichs Kanzlei. Dessen Agieren hält er für kritikwürdig.

Martin W. Huff, Rechtsanwalt

"Ich habe für einen Rechtsanwalt das Problem, dass ein Rechtsanwalt verpflichtet ist, sachlich die Öffentlichkeit zu unterrichten. Das ergibt sich aus der Bundes-Rechtsanwalts-Ordnung. Und darunter fällt auch, dass ein Anwalt keine unwahren Tatsachen behaupten darf, also nicht behaupten darf, es gibt ein Vakzin-, es gibt dieses V-AIDS. Das wäre eine unwahre Tatsachenbehauptung und hier könnte sowohl ein Konkurrent wie auch eine Rechtsanwaltskammer gegen ihn vorgehen."

Bei unseren Recherchen zu Ulbrich finden wir Aussagen zur Pandemie-Politik, die Fragen aufwerfen. Mehrfach zieht Ulbrich auf Twitter Parallelen zum Nationalsozialismus, beklagt einen "Vaccionalsozialismus". Darauf angesprochen sagt er Kontraste, er habe keine genaue Erinnerung daran, distanziere sich aber.

Gelöscht ist dieser Tweet aus dem Januar 2022: Befürworter einer Corona-Impfpflicht rückte Ulbrich in die Tradition des NS-Verbrechers Josef Mengele, einst tätig im Konzentrationslager Auschwitz.

Tobias Ulbrich, Rechtsanwalt

"Den Tweet, den habe ich gelöscht. Und den Tweet würde ich auch nicht absetzen im heutigen Zeitpunkt."

Kontraste

"Das heißt damals haben Sie es ernst gemeint, aber finden es jetzt einen Fehler?"

Tobias Ulbrich, Rechtsanwalt

"Nein, damals waren wir nicht im Rahmen eben dieser Kampagne auch unterwegs. Und zur Versachlichung gehört jedenfalls eine solche Aussage definitiv nicht. Und ich distanziere mich davon in aller Form."

Mit "Kampagne" meint Ulbrich offenbar die von seiner Kanzlei betreuten Klagen wegen möglicher Impfschäden.

Wir stoßen auch auf eine Strafanzeige, die Ulbrich 2021 beim Generalbundesanwalt gestellt hat – mit dem Briefkopf seiner Kanzlei. Die Anzeige richtet sich "insbesondere" gegen 38 namentlich genannte Personen – darunter der Unternehmer Bill Gates, der Virologe Christian Drosten, die Biontech-Gründer Uğur Şahin und Özlem Türeci.

Tobias Ulbrich, Rechtsanwalt

"Sie können jeden einzelnen Nachweis sich dort ansehen. Sie werden nichts finden, was nicht belegbar ist."

Der angebliche Tatverdacht: Völkermord, versuchter Völkermord, Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und Hochverrat.

Ulbrich schrieb, es könne sein, dass "sogenannte 'Impfstoffe'" nichts anderes seien als "biologische Kriegswaffen".

Uns gegenüber beteuert Ulbrich, er habe nur einen Verdacht prüfen lassen wollen. Die Anzeige habe nicht in die Öffentlichkeit geraten sollen.

Noch im Januar 2023 aber sprach er öffentlich über seine Anzeige im selbst ernannten "Corona-Ausschuss" – einer Videoreihe aus dem Querdenker-Milieu.

Tobias Ulbrich, Rechtsanwalt

"Wenn man sich aus heutiger Sicht das sozusagen einmal ansieht, was ich damals geschrieben habe, würde ich sagen: Ja, der Riecher war da ganz richtig, ja."

Der Generalbundesanwalt wies die Anzeige ab: Es bestehe kein Anfangsverdacht. Aus der Szene hingegen gab es Applaus. Coronaleugner Bodo Schiffmann etwa würdigte Ulbrichs Einsatz auf seinem Videokanal.

Bodo Schiffmann, Pandemie-Leugner

"Vielen Dank an den Anwalt Ulbrich für das, was er da getan hat, das ist überfällig gewesen. Danke!"

Den Politikwissenschaftler Josef Holnburger überrascht das nicht. Er spricht von einem "Best-of der Verschwörungserzählungen" in Ulbrichs Strafanzeige.

Josef Holnburger, Politikwissenschaftler

"Alle haben einen Nukleus, einen Kern. Alle drehen sich darum, dass es eine kleine Gruppe gäbe, die einen unglaublichen Machtapparat hätte, und mit diesem Machtapparat etwas unglaublich Böses durchziehen möchte, wie zum Beispiel eine Bevölkerungsreduktion oder das Unfruchtbarmachen von Menschen. All das findet man in diesen knapp 200 Seiten wieder. Das spricht für einen geschlossen verschwörungsideologisches Weltbild."

So behauptet Ulbrich in der Anzeige, nach dem Wunsch von Bill Gates solle "das deutsche Volk auf 27 Millionen Einwohner dezimiert werden".

"Die Impfungen, aber auch der Virus selbst – also wenn ich es richtig verstehe, gehen sie von einem Laborursprung aus dieses Virus – wird gezielt als Biowaffe eingesetzt, um die Bevölkerung zu reduzieren?"

Tobias Ulbrich, Rechtsanwalt

"Ja, wenn sie in die Literatur einsteigen, und da würde ich Sie jetzt bitten, einmal die Kameras einfach auszumachen – das kann ich nicht vor der Kamera sagen."

Kontraste

"Naja, also, dann…"

Tobias Ulbrich, Rechtsanwalt

"Nein. Ich kann es wirklich nicht sagen, weil es echt dazu geeignet ist, eben einen Dritten Weltkrieg auszulösen. Ich kann's nicht sagen. Es ist nicht möglich, diese Dinge vor der Kamera zu sagen. Ich werde mich auch als Anwalt dazu nicht hinreißen lassen."

Kontraste

"Sie glauben, das, was Sie jetzt sagen könnten, könnte einen Dritten Weltkrieg auslösen?"

Tobias Ulbrich, Rechtsanwalt

"Ich sage, es hat jedenfalls Sprengstoffcharakter."

So denkt und spricht der Mann, der seit Wochen die Debatte um die Gefährlichkeit der Corona-Impfung mitbestimmt. Eine Debatte, in der eine zentrale Wahrheit unterzugehen droht: Die wesentlich größere Gefahr als die Impfung ist das Virus.

Beitrag von Silvio Duwe, Daniel Laufer und Markus Pohl

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