Russische Desinformation: Das Netzwerk gefälschter Auslandsmedien

Seit Jahren verbreiten vermeintliche Nachrichtenportale aus Europa russische Propaganda. netzpolitik.org und WELT haben jetzt ein Netzwerk enttarnt, das Lügen in russischen Medien glaubwürdiger machen soll. Es gibt Verbindungen zum Geheimdienst.

In Russland wird mit den Nachrichten des Desinformationsnetzwerkes der politische Kurs des Kreml flankiert.
In Russland wird mit den Nachrichten des Desinformationsnetzwerkes der politische Kurs des Kreml flankiert. (Bild: netzpolitik.org, mit Bildmaterial des Kremls)

Es passiert nicht oft, dass eine deutsche Nachrichtenseite eine Recherche veröffentlicht, die dann in Russland wie eine Bombe einschlägt. „Abendlich Hamburg“ ist das vor Kurzem gelungen, mit einem vermeintlichen Enthüllungsartikel über Alexej Nawalny. Der russische Oppositionspolitiker erholt sich nach einer Vergiftung mit dem Nervengift „Nowitschok“ derzeit noch in Deutschland. „Abendlich“-Autor Matthias Fritz will herausgefunden haben, dass der Westen statt auf Alexej Nawalny nun auf dessen Frau Julia setze. Nach der Rückkehr nach Russland wolle diese für die russische Staatsduma kandidieren. So heißt es in dem Artikel.

Dutzende namhafte russische Seiten, darunter die Online-Zeitung „Gazeta.ru“ und das Boulevardblatt „Komsomolskaja Prawda“, griffen die Geschichte aus dem November auf. Ein journalistischer Erfolg für „Abendlich Hamburg“, könnte man meinen. Stattdessen ist die Seite aus dem Netz verschwunden.

Inzwischen ist klar, dass an dem angeblich in Hamburg ansässigen Portal etwas faul ist: Die Sprache der Artikel klingt nach einer schlechten Übersetzung aus dem Russischen, die meisten Artikel sind Kopien russischer Propaganda-Kanäle. Die offiziellen Registrierungsdaten führen zu einer beliebigen Adresse in Gotha in Thüringen. Die Sache scheint klar: Etwas Seltenes ist passiert. Vor einem liegt ein Beispiel für russische Desinformation. Doch die Sache ist größer, umfassender. Das macht eine Recherche von netzpolitik.org und WELT jetzt deutlich.

Zusammen haben sie die Website analysiert, Hinweise auf Hinterleute entdeckt, wiederkehrende Muster ausgemacht – und dann: weitere solcher Internetseiten gefunden. So tritt ein ganzes Netzwerk vermeintlicher Nachrichtenportale zum Vorschein, die sich seriös klingende Namen geben, deren vermeintliche Journalist:innen aber gar nicht existieren. Sie alle sind in Wirklichkeit aufgeblasene Fake-News-Schleudern.

Auf diesen Plattformen platzieren die Hinterleute aus dem russischsprachigen Raum Desinformation. Die fingierten Auslandsmedien sollen die Glaubwürdigkeit der Nachrichten verstärken, wenn sie innerhalb Russlands zitiert werden. Etabliert hat sich noch eine zweite Methode: Die Drahtzieher missbrauchen sogar seriöse europäische Medien, um ihre Verschwörungsmythen zu streuen. In mindestens einem Fall platzierten sie die Lügen sogar direkt auf der Website einer renommierten französischen Nachrichtenseite.

Hinter all dem steckt eine steuernde Hand, deren Spuren in die Separatistengebiete in der Ostukraine und zu einem russischsprachigen Propaganda-Kanal mit Verbindungen zu russischen Nachrichtendiensten führen. Es ist eines der sehr seltenen Beispiele dafür, wie russische Desinformation funktioniert. Gleichzeitig sieht man, mit welchen mitunter plumpen Mitteln der Informationskrieg gegen Feinde im In- und Ausland heutzutage geführt wird. 

Verräterische Verschleierung

Die Website von „Abendlich Hamburg“, bevor sie abgeschaltet wurde.
Die Website von „Abendlich Hamburg“, bevor sie abgeschaltet wurde. (Bild: Screenshot WELT)

Von der Website „Abendlich Hamburg“ hat hierzulande wohl kaum jemand zuvor gehört. Sie ist der Startpunkt dieser Recherche. Die Hinterleute der Seite haben einiges unternommen, um unerkannt zu bleiben. Um zu verschleiern, wer das Portal betreibt, nutzten sie den Dienst Cloudflare, der Besucher durch seine eigenen Server schleust. Der tatsächliche Standort der Server soll so verborgen bleiben.

Allerdings hat Cloudflare eine gravierende Schwachstelle, wenn es darum geht, wirklich anonym zu bleiben. Sie hängt zusammen mit dem Domain Name System (DNS). Dabei handelt es sich um eine Art Telefonbuch des Internets: Auf einem DNS-Server ist hinterlegt, welche Internetdomain wohin führen soll. Cloudflare betreibt Tausende solcher DNS-Server. Neukunden weist der Dienst daraus zwei zufällige DNS-Server zu, die dann für die Websites eines Nutzerkontos identisch bleiben.

Die DNS-Server, die für die Domain von „Abendlich Hamburg“ hinterlegt sind, nennt Cloudflare „Candy“ und „Zeus“. netzpolitik.org und WELT haben nach weiteren Internetdomains gesucht, die diese zufällige Kombination „Candy“ und „Zeus“ nutzen. Sie ermöglicht Rückschlüsse darauf, welche Websites denselben Betreiber haben könnten.

Fake-News-Portale in mehreren europäischen Staaten

Das Netzwerk
Das Netzwerk: „24-7 News“ als internationales Portal, „Britisherald“ und „The Capital News“ in Großbritannien, „La tarde republicana“ in Spanien, „Courrier Parisien“ in Frankreich, „Abendlich Hamburg“ in Deutschland, „Szeged Hírek“ in Ungarn, „Pravdorub“ in der Republik Moldau, „Infoprof“ in Russland. Es gibt enge Verbindungen zu „News-Front“ auf der Krim. (Bild: netzpolitik.org)

Die Recherchen führen zu Nachrichtenportalen, die angeblich aus Deutschland, Großbritannien, Spanien, Frankreich, Ungarn, der Republik Moldau und Russland stammen. Auf einem internationalen Angebot erschienen auch Artikel in mehreren Sprachen. Deren Inhalte sowie technische Merkmale offenbaren ein Muster, das bekannt vorkommt. „Abendlich Hamburg“ ist offensichtlich nicht allein; Lügen-Klone haben sich in vielen Ländern versteckt.

netzpolitik.org und WELT haben die gesamten Archive mehrerer Websites aus diesem Netzwerk heruntergeladen und untersucht. Die Auswertung zeigt, wie systematisch die Portale Desinformation verbreiten und wie sie dabei vorgehen. Dabei geht es auch darum, Vertrauenswürdigkeit vorzugaukeln; richtige Artikel sollen helfen, dass die portionierte Desinformation nicht auffällt – und für wahr genommen wird.

Seit Jahren füllen die Betreiber:innen diese Websites mit Artikeln, die von anderen Nachrichtenportalen stammen. Häufig kopierten die Betreiber:innen auch Artikel von seriösen Medien wie dem britischen „Guardian“ oder dem Fernsehsender Euronews. Gelegentlich aber erscheinen Beiträge, die eindeutig aus der Reihe fallen. Auf Spanisch berichtete ein Portal über angeblichen Hass, den US-amerikanische Medien verbreiteten, nachdem Russland die Halbinsel Krim annektiert hatte. Der Text endet mit einer Drohung: „Provokationen gegen Russland werden zu einer harten militärischen Reaktion Moskaus führen, die für die Ukraine eine echte Katastrophe bedeuten wird.“ Ein vermeintlicher Staatsstreich ukrainischer Nationalisten könne „die Welt in die Luft jagen“. Mitunter tauchten dann Übersetzungen derselben Artikel auf verschiedenen „europäischen“ Nachrichtenportalen des Netzwerkes auf.

Der Verbreitungsmechanismus

Große Mühe haben sich die Hinterleute nicht gemacht: Die meisten Seiten sind schlampig geführt. Es gibt kein Impressum, das Layout wirkt unprofessionell. Bei zwei Nachrichtenportalen, die sich als voneinander unabhängig ausgeben und in unterschiedlichen Ländern ansässig sein sollen, lassen sich durch einen technischen Anpassungsfehler sogar Informationen auf dem Webserver dahinter einsehen. Aus diesen geht hervor, dass die angeblich unabhängigen Nachrichtenseiten offenbar über dasselbe Nutzerkonto mit der Kennung „u0453810“ betrieben werden.

Die plumpen Oberflächen legen nahe, dass die Seiten offensichtlich nicht für echte Leser in den entsprechenden Ländern konzipiert sind. Doch auch wenn sie bereits auf den ersten Blick stutzig machen – ihre Wirkung verfehlen sie nicht: Die einzelnen Seiten sind nämlich Zahnräder eines großen Getriebes, das tatsächlich in Fahrt gekommen ist. Das zeigen konkrete Beispiele:

Der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny wird aus diesem Netzwerk heraus immer wieder attackiert. So auch in einem Interview, das „The Capital News“ im Oktober dieses Jahres veröffentlichte. Der US-Amerikaner Greg Butterfield sät darin Zweifel daran, dass der Kreml hinter Nawalnys Vergiftung stecken könnte. Der Interviewte spekuliert auch über angebliche Verbindungen des Russen zur CIA – ein gängiges Narrativ russischer Staatsmedien, um Oppositionspolitiker:innen zu diskreditieren.

Greg Butterfield bei einem Besuch in der von Separatisten kontrollierten Stadt Luhansk
Greg Butterfield bei einem Besuch in der von Separatisten kontrollierten Stadt Luhansk (Bild: Red Star Over Donbass | Bearbeitung: netzpolitik.org)

Der Politiker Greg Butterfield existiert wirklich, doch er ist bei Weitem nicht das „berühmte amerikanische Mitglied der Opposition“, als das „The Capital News“ ihn darstellt. Butterfield, der auf eine Anfrage zu dieser Recherche nicht reagierte, ist in einer marxistisch-leninistischen Nischenpartei aktiv und besuchte den von Russland besetzten Donbass. Für das Propaganda-Netzwerk war der US-Amerikaner womöglich bloß ein sogenannter Nützlicher Idiot, der gebraucht wurde, um wie ein Stichwortgeber die Grundlage zu liefern für das, was als Nächstes geschah.

Das Interview, das Butterfield „The Capital News“ gab, schlug Wellen. Der zur staatlichen russischen Nachrichtenholding „Rossija Sewodnja“ gehörende Dienst „Inosmi“ griff es auf und übersetzte den Text ins Russische. Auch der deutsche Ableger der vom Kreml finanzierten Agentur „Sputnik“ berichtete darüber. Butterfields Aussagen sind nun zugespitzt, Sputnik verkaufte die Mutmaßungen als Tatsachen.

Der Fall zeigt: Die Nachrichtenportale dieses Netzwerkes sind erstaunlich klein. Groß werden sie erst, wenn andere Medien ihre Veröffentlichungen aufgreifen und ihnen so Glaubwürdigkeit und Aufmerksamkeit bescheren – wo nötig, sogar mit der Hilfe staatlicher Strukturen.

„Abendlich Hamburg“ versuchte offenbar, diesen Trick zu wiederholen – mit Erfolg. Auch hier diente das Übersetzungsportal „Inosmi“ als erster Verbreiter. In der News-Suche der russischen Suchmaschine Yandex finden sich inzwischen etwa 40 Artikel verschiedener, russischsprachiger Websites, die sich auf die Nawalny-Geschichte von „Abendlich Hamburg“ beziehen. Hinzu kommen Beiträge und Verlinkungen in sozialen Netzwerken, die Tausendfach gelesen und geklickt worden sind.

„Inosmi“ soll Russen den Blick von Außen auf ihr Land vermitteln. Das Portal übersetzt professionell zumeist Presseartikel renommierter Medienhäuser, aber auch kleinere Blogs. Auf die Frage, wieso es ausgerechnet dieses unbekannte Hamburger Portal förderte, antwortete es nicht. 

Die Spuren führen in von Moskau kontrollierte Gebiete

Dieser Verbreitungsweg ist nur der offensichtlichste Fingerzeig in Richtung Russland. Auch technische Details bestärken den Verdacht, dass „Abendlich Hamburg“ und die übrigen Portale aus dem Netzwerk gemeinsam aus dem russischsprachigen Raum gesteuert werden. Der Großteil der Server steht bei dem Hosting-Anbieter REG.ru in Moskau. Bei der Analyse des Netzwerkes finden sich zudem zahlreiche Hinweise, die auf die Verwicklung altbekannter kremlfreundlicher Akteur:innen hinweisen.

Dass der oder die Betreiber:innen der Seiten bewusst falsche Fährten legen, um den Ursprung und das Ausmaß des Netzwerkes zu verheimlichen, zeigen Angaben, die bei DENIC hinterlegt sind. Die zentrale Registrierungsstelle verwaltet alle Websitenamen, die auf die Länderkennung „.de“ enden. Im Fall von „Abendlich Hamburg“ führen sie zu acht unterschiedlichen Adressen im Zentrum der thüringischen Stadt Gotha. Zuerst hatte darüber die „Zeit“ berichtet. Ein Name findet sich in den Registrierungsdaten jedoch nicht.

Doch nicht immer waren sie so vorsichtig. Registrierdaten zu weiteren Domains, die sich dem Netzwerk eindeutig zuordnen lassen, beinhalten einen echten Namen: Maxim G., dessen Nachname den Redaktionen bekannt ist. Nach Recherchen von netzpolitik.org und WELT handelt es sich um einen 22-Jährigen aus der ostukrainischen Stadt Luhansk, die von Separatisten kontrolliert wird. Auch hinterlegte E-Mail-Adressen gehören ihm. Bei mehreren Anmeldungen wurde sogar eine Telefonnummer angegeben, die mit einem Konto bei dem Messengerdienst Telegram verknüpft ist. Das dazugehörige Profilbild zeigt das Foto eines jungen Mannes.

Telegram-Profilbild von Maxim G.
Telegram-Profilbild von Maxim G. (Bild: Maxim G. via Telegram | Bearbeitung: netzpolitik.org)

Also ruft man bei Maxim G. an. Am anderen Ende meldet sich eine freundliche junge Stimme auf Russisch. Fragt man ihn nach „Abendlich Hamburg“ und den anderen Websites, redet er erstaunlicherweise nicht drumherum – sondern räumt er seine Beteiligung ein. Er sei auf Telegram kontaktiert worden, erzählt er, von wem, wisse er nicht. Es sei darum gegangen, Seiten aufzusetzen, die wie Nachrichtenportale aussehen. Das habe er recht schnell und schlampig „für ein paar Kopeken“ gemacht – umgerechnet 11 Euro pro Seite will er erhalten haben. Zehn Seiten müssten es anfangs gewesen, sagt Maxim G. – geblieben seien sieben.

Er habe bereits gehört, dass da irgendetwas los sei mit „Abendlich Hamburg“. Er habe Angst bekommen und die Seite entfernt. „Das Hosting ist zwar auf mich registriert, aber ich habe mit den Inhalten nichts zu tun“, sagt er. „Ich bin einfach Freelancer. Ich trage da keine Verantwortung.“ Doch so einfach ist es offensichtlich nicht, wie die Recherche zeigt.

Ein altbekannter russischer Propaganda-Kanal

Im Netz bietet Maxim G. seine Dienste als Entwickler an. Zu den Dienstleistungen in seinem Portfolio zählt auch die Entwicklung von Bots, also automatisch arbeitender Computerprogramme. Auf seinem Profil bei der Entwicklerplattform Github hat er den Quellcode für eine Software hochgeladen, aus dem hervorgeht, dass er an Programmen gearbeitet hat, die automatisch Inhalte sammeln und weiterverbreiten sollten. Der Beschreibung nach hat er auch „Werkzeuge zur Arbeit mit News-Front“ entwickelt, außerdem eine News-Front-Erweiterung für den Internetbrowser Chrome.

News-Front ist alles andere als eine gewöhnliche Nachrichtenseite. Der Ursprung des Portals geht zurück auf den Sturz des pro-russischen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch und der Krim-Annexion im Frühling 2014. In der Anfangszeit dominierten auf der Seite Artikel über den Krieg im Donbass. Inzwischen ist News-Front zu einem mehrsprachigen Medienunternehmen mit Sitz auf der Krim ausgebaut worden, das die russische Weltsicht in anderen Sprachen verbreitet, unter anderem auf Deutsch.

Ein großer Teil des Budgets stammt einem ehemaligen Mitarbeiter zufolge vom russischen Geheimdienst, wie die „Zeit“ 2017 berichtete. Das Global Engagement Center (GEC) der US-Regierung nannte die Seite in einer im August veröffentlichten Analyse ein „Desinformations- und Propaganda-Medium“. Aus der eigenen Ausrichtung wird indes kein Hehl gemacht: „Wir, die Nachrichtenagentur News-Front, sind freiwillige Kämpfer des Informationskrieges“, heißt es auf der Website. 

Was sagt Maxim G. dazu?

Dass er das Erweiterungsprogramm für das Portal entwickelt habe, sei „ein Zufall“, erklärt G. auf Nachfrage. Ein Mitarbeiter von News-Front, den er kenne, habe ihn gebeten, es zu schreiben. Geld habe er dafür nicht erhalten.

Dann, kurz nach dem Telefonat, verschwindet die Software von seinem öffentlich einsehbaren Profil.

Neben den Programmen, die Maxim G. schrieb, gibt es aber noch einen zweiten Hinweis auf möglicherweise enge Verbindungen des nun aufgedeckten Desinformationsnetzwerkes zu News-Front.

Republik Moldau im Fokus

Die Spur führt in die Republik Moldau. Dort hat sich nach dem Zerfall der Sowjetunion die Region Transnistrien, am östlichen Rand der Republik, für unabhängig erklärt. Transnistrien steht unter russischem Einfluss, bis heute sind dort russische Truppen stationiert. Russlands strategisches Interesse ist also groß. Womöglich erklärt sich dadurch, warum sich in der Republik die ausgefeiltesten Seiten des Netzwerkes finden.

Die russischsprachige Seite „Pravdorub“ aus Moldau etwa wirkt deutlich ausgereifter als „Abendlich Hamburg“ oder „The Capital News“. Auch zu ihrer Internetdomain sind „Candy“ und „Zeus“ hinterlegt – dieselben DNS-Server wie bei „Abendlich Hamburg“. Die gerade gewählte Präsidentin Maia Sandu, die auf Distanz zu Russland geht, wird bei „Pravdorub“ scharf angegriffen.

Die Recherche führt über einen Umweg auch zu dem Portal „Echo Moldaus“. Im Dezember 2019 hatte das moldauische „Institutul de Politici Publice“ in einer Analyse des Portals festgestellt, dass die zugehörige Facebook-Gruppe ursprünglich als eine News-Front-Gruppe gegründet worden war.

Wenige Wochen vor der Präsidentschaftswahl in der Ukraine im Frühjahr 2019 veröffentlichte „Echo Moldaus“ einen russischsprachigen Bericht, der dem Amtsinhaber Petro Poroschenko Korruption vorwarf. Tage später erschien derselbe Artikel in englischer Sprache auf Kanälen, die News-Front betreibt. Sogar Schaubilder, zuvor noch in kyrillischer Schrift, waren übersetzt worden.

Dieses Schema passt: Dass Artikel von einer Website auf die andere kopiert werden, ist auch im Desinformationsnetzwerk rund um „Abendlich Hamburg“ üblich. Zum Teil wirken die Nachrichtenportale wie der verlängerte Arm von News-Front. So erschien auf „Britisherald“ im Juni 2019 ein englischsprachiger Artikel über den Abschuss des Malaysia-Airlines-Flugs 17 in der Ukraine. Er soll Zweifel an der Arbeit westlicher Ermittler säen. Am selben Tag brachte „La tarde republicana“ auch eine spanischsprachige Version des Textes. Der Original-Artikel war fünf Tage zuvor auf einer Schwester-Website von News-Front veröffentlicht worden. Es scheint, als hätte ihn anschließend jemand innerhalb des Netzwerkes gestreut.

Im Oktober desselben Jahres übernahmen „La tarde republicana“ und „The Capital News“ einen weiteren Artikel zum selben Thema von einer News-Front-Website, der sogar eine entsprechende Quellenangabe enthielt. Eine Analyse des Quelltextes ergab zudem, dass auf „La tarde republicana“ Grafiken eingebunden sind, die direkt vom News-Front-Server geladen werden, wenn Besucher einen Artikel aufrufen.

Immer deutlicher wird damit: Es handelt sich um keine vereinzelten Stimmen, es ist ein Chor.

Ein ausführlicher Fragenkatalog zum Desinformationsnetzwerk, den netzpolitik.org und WELT an News-Front schickte, wurde sogar beantwortet. Die Vorwürfe aber wurden als „Phantasie“ abgetan.

Auch in der Botschaft der Russischen Föderation in Berlin will man nichts von einer Verwicklung wissen. Zur Desinformation von „Abendlich Hamburg“ und „24-7news.eu“ über Alexej Nawalny heißt es, zu „inoffizieller Medienberichterstattung“ äußere sich die Botschaft grundsätzlich nicht.

Auch etablierte westliche Nachrichtenseiten werden missbraucht

Eigene Propaganda-Beiträge möglichst breit zu streuen – mit dieser Strategie hat News-Front seit Jahren Erfahrung. Diese Recherche zeigt, dass die Organisation dazu nicht nur ihre eigenen Kanäle nutzt. Um Desinformation zu verbreiten, missbraucht das Portal auch Websites renommierter westlicher Medien.

Am 4. April 2017 sterben bei einem Chemiewaffenangriff in der syrischen Kleinstadt Chan Schaichun 87 Menschen. Der Westen macht das Regime von Baschar al-Assad dafür verantwortlich, aber der Diktator streitet eine Verantwortung ab, auch Putin verteidigt ihn.

Wenige Tage darauf veröffentlicht jemand, der sich Kate Matberg nennt, einen ersten Artikel auf der Website von „Mediapart“. Das französische Portal ist für seinen Investigativjournalismus bekannt. Matberg listet Behauptungen auf, die unterstreichen sollen, dass es sich bei Filmaufnahmen aus Chan Schaichun um Fälschungen handele und der Angriff womöglich gar nicht stattgefunden habe. Aber Matberg ist gar keine Journalistin von „Mediapart“.

Der Artikel erscheint in „Le Club“, einem Bereich der Website, auf dem Leser selbstgeschriebene Beiträge einstellen. Ersichtlich wird das höchstens Seitenbesuchern, die Französisch verstehen. Matbergs Texte aber erscheinen auf Englisch. Bis heute hat sie in dem Blog 115 Artikel veröffentlicht.

Kate Matbergs Blog auf der Website der französischen Nachrichtenwebsite „Mediapart“
Kate Matbergs Blog auf der Website der französischen Nachrichtenwebsite „Mediapart“ (Bild: Screenshot netzpolitik.org)

Ein Beitrag handelt vom Hacker-Angriff auf das private E-Mail-Konto eines US-Diplomaten, der einem Medienbericht zufolge für die Arbeit der Geheimdienste in Russland zuständig war. Matberg verlinkte eine Website, auf der jeder den Inhalt des E-Mail-Postfachs herunterladen konnte. News-Front übernahm den Beitrag auf seinem eigenen Portal, versehen mit einem Hinweis, der ihm wohl zusätzliche Glaubwürdigkeit verschaffen sollte: Dieser Artikel „erschien zuerst bei Mediapart“.

Nach Recherchen von netzpolitik.org und WELT war die Autorin Kate Matberg selbst nur eine Erfindung von News-Front. Fast jeder fünfte ihrer Artikel enthielt eindeutige Verweise auf News-Front oder ihre Schwester-Websites, wieder waren Grafiken direkt von Servern in Moskau eingebunden worden.

„Mediaparts“ Chefredakteur Edwy Plenel teilte auf Anfrage mit, man habe nichts von alldem gewusst. Am Sonntag ließ er sämtliche Beiträge des Kontos löschen und ordnete eine Untersuchung des Nutzerkontos an. „Das Abonnement lief auf den Namen eines Verantwortlichen der Website von ‚News-Front'“, so Plenel. Näher wollte er sich dazu nicht äußern – aus datenschutzrechtlichen Gründen.

Der Leser-Blog auf der Website von „Mediapart“ ist kein Einzelfall, Kate Matberg auch nicht das einzige Pseudonym, unter dem News-Front seine Artikel im Netz streute. Zum Teil erschienen dieselben Texte unter dem Namen Anastasia Frank auf der zypriotischen Nachrichtenwebsite „The Duran“.

„Wir wussten davon nichts“, schreibt Alexander Christoforou, einer der Köpfe des Portals, per E-Mail. Jeder könne bei „The Duran“ Artikel einstellen. Die Website gilt als russlandfreundlich und ist Faktencheckern schon in der Vergangenheit durch Desinformation aufgefallen. Nach der Anfrage wurden dort alle 42 Beiträge von Anastasia Frank gelöscht.

Artikel, die angeblich von Matberg oder Frank stammten, erschienen auch im Netzwerk, dem „Abendlich Hamburg“ angehörte.

Doppelstrategie autoritär regierter Staaten“

Laut Konstantin Kuhle, innenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, zeigt „Abendlich Hamburg“ jetzt „mustergültig, wie gezielte Desinformation funktioniert“. Dabei sei dieser Fall noch relativ leicht zu durchschauen. „Die Tatsache, dass vergleichbare Portale in anderen Staaten und auf anderen Sprachen erkennbar sind, verdeutlicht, wie groß das Problem ist“, sagt der Bundestagsabgeordnete.

Kuhle geht angesichts dieser Erkenntnisse von einer Doppelstrategie durch autoritär regierte Staaten aus: Einerseits werde mittels Desinformationskampagnen eine gezielte Einflussnahme auf die Willensbildung in demokratischen Staaten unternommen. Andererseits versuchten die betroffenen Staaten die offene Medienlandschaft hierzulande zu nutzen, um Oppositionelle in ihren Staaten zu beeinträchtigen. 

„Die Antwort europäischer Staaten muss ein gemeinsames Vorgehen gegen entsprechende Kampagnen sein. Dabei müssen Staaten wie Deutschland auch über eine aktivere Nutzung sowie den Ausbau eigener Kommunikationskanäle nachdenken“, sagte Kuhle netzpolitik.org und WELT.

Der SPD-Europaparlamentarier Tiemo Wölken teilte mit Blick auf die Recherche mit: „Gezielte Desinformationskampagnen wie diese sind oft Teil hybrider Operationen aus Drittstaaten.“ Durch die Verbreitung von Falschinformationen werde gezielt versucht, Einfluss auf den öffentlichen Diskurs in Europa zu nehmen, um daraus Kapital zu schlagen.

„Viele Falschmeldungen im Zusammenhang mit COVID-19 sind beispielsweise auf Kampagnen aus Russland und China zurückzuführen“, so Wölken. Das zu erkennen sei ein wichtiger erster Schritt: „Das ist wie in der Geschichte vom Zauberer von Oz, in der sich herausstellt, dass der mächtige, imponierende Zauberer nur ein älterer Mann ist, der hinter einem Vorhang versteckt eine Maschine bedient.“

„Abendlich Hamburg“ ist abgeschaltet. Desinformation aber lebt.


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