„Wolfsgeist“: Wie Huawei seine Angestellten in Europa kontrolliert
2.400 Beschäftigte hat Huawei in Düsseldorf. Im Inneren herrscht quasi-militärischer Korpsgeist, sagen Ex-Angestellte (Bild: Daniel Laufer)
Der Journalist mit dem Fotoapparat löst Nervosität aus. Minuten, nachdem er Mitte November vor der Europazentrale von Huawei in Düsseldorf erscheint, eilen ein gedrungener Sicherheitsmann und eine Mitarbeiterin herbei. Hier, vor dem Gebäude, ist Straße und öffentlicher Raum. Doch die Firma fühlt sich in ihrem Revier verletzt. „Was wollen Sie hier?“, fragt die Frau. „Löschen Sie die Fotos.“
Einblicke in das Innenleben des umstrittenen chinesischen Mobilfunkkonzerns sind selten. Etwa 200.000 Beschäftigte hat Huawei weltweit, rund 2.400 sind es nach Konzernangaben in Deutschland. Die Europazentrale sitzt in Düsseldorf. „Wir sind ein Spitzen-Arbeitgeber!“, steht auf einer Anzeigetafel im Eingangsbereich, Orchideen zieren den Empfang. Auf dem Flur hängt das Foto einer Wandergruppe, die auf einem Berggipfel posiert und winkt.
Was Stimmen aus dem Inneren erzählen, hat dagegen wenig mit dieser freundlichen Kulisse zu tun. Sie berichten von einer Technologiefirma, die ihre Angestellten in erster Linie als Rohstoff zu begreifen scheint, aus dem sie den eigenen Erfolg schmieden will. Von einer Firma, die chinesische Mitarbeiter:innen verschiebt wie Schachfiguren, die Angestellte nach Belieben vor die Tür setzt und in der ein quasi-militärischer Korpsgeist herrscht. In Deutschland verletzt der Konzern dabei mitunter den Geist, vielleicht gar die Buchstaben des Arbeitsrechts.
„Löschen Sie die Fotos“: Huawei fühlt sich durch den Reporter vor der Zentrale in Düsseldorf in seinem Revier verletzt (Bild: Daniel Laufer)
Dieser Bericht ist das Ergebnis einer monatelangen Recherche von netzpolitik.org als Teil des Signals Network mit Journalist:innen von The Daily Telegraph in Großbritannien, der Republik in der Schweiz und von El Mundo in Spanien. Gemeinsam haben wir als vertraulich eingestufte Dokumente von Huawei ausgewertet. Aus ihnen geht hervor, wie der Konzern tief in das Privatleben seiner Angestellten eingreift, um die eigenen Ziele zu erreichen.
Wir haben mit Menschen gesprochen, die in mehreren europäischen Ländern für die Firma gearbeitet haben. Unsere Quellen stammen aus China, aber auch aus Deutschland, sie waren für unterschiedliche Tochterfirmen und Abteilungen tätig. Einige Ex-Angestellte sprechen gut über den Konzern, mehrere Gesprächspartner:innen erheben hingegen schwere Vorwürfe. Um unsere Quellen zu schützen, verzichten wir in den meisten Fällen auf die Nennung von Namen und anderen Details, die sie identifizierbar machen könnten.
Huaweis Führungsstil: „Wolfsgeist“
Ihre Schilderungen zeichnen das Bild einer Firma, die sich in der Öffentlichkeit für ihre vorgeblich moderne Managementphilosophie feiern lässt, Angestellte aber zugleich an ihre Grenzen bringt. Ex-Beschäftigte sprechen von einer toxischen Firmenkultur, die vom Management des Konzerns befördert werde. Auch der enorme Erfolgsdruck spielt dabei eine Rolle.
Wer bei alldem mitspielt, den belohnt Huawei mit Sonderzahlungen, die an Firmenanteile geknüpft sind. Was jedoch geschieht, wenn Beschäftigte sich weigern, ihr Leben ganz in den Dienst ihres Arbeitgebers zu stellen, zeigen interne E-Mails und verdeckte Tonaufnahmen, die netzpolitik.org und seinen Recherchepartner:innen vorliegen, sowie Gerichtsverfahren in mehreren Ländern. Verhandelt wurde über Diskriminierung und Entlassungen, zu denen es nach geltendem Recht nie hätte kommen dürfen.
Wer dem Firmengründer Ren Zhengfei genau zuhört und auf die kompromisslose Kriegsrhetorik achtet, mit der dieser den Kurs vorgibt, stellt fest, dass Huawei aus seiner Linie kein Geheimnis macht. Seine Reden spickt Ren mit militärischen Metaphern, den rauen Führungsstil nennt er nicht ohne Stolz „Wolfsgeist“. Auch in Europa ist der Weltkonzern von diesem „Wolfsgeist“ geprägt.
Huawei-Gründer Ren Zhengfei (Mitte) greift gerne zu militärischen Metaphern, um seine Angestellten zu motivieren (Bild: Daniel Gramage / EC - Audiovisual Service)
Top-Jobs wohl nur für Personal aus China
In der straffen Hierarchie sind nicht alle gleich. Das Bauwerk Huawei hat zwei Stockwerke, Beschäftigte ohne chinesische Wurzeln nehmen einen untergeordneten Rang ein – egal, wo sie im offiziellen Organigramm stehen. Das Obergeschoss ist Expats vorbehalten, Chines:innen, die aus der Konzernzentrale in Shenzhen zu Tochterfirmen auf der ganzen Welt entsandt werden.
Ein Ex-Angestellter sagt, es gebe praktisch eine gläserne Decke für europäische Beschäftigte. „Wenn Sie da über die Flure laufen, ist es eben sehr augenscheinlich, dass das Management zu 99,9 Prozent aus Chinesen besteht.“ Das ist vermutlich übertrieben, hat aber einen wahren Kern.
Die chinesische Dominanz spiegelt sich in der Führungsebene des globalen Konzerns wider, der nach eigenen Angaben in 170 Ländern der Welt tätig ist. Von 17 Mitgliedern des Konzernvorstandes sind 17 Chines:innen. Auch der Deutschlandchef ist Chinese, ihm ist ein deutscher Technikchef zur Seite gestellt. Managementstellen, die von Einheimischen besetzt sind, dienen offenbar eher dem Schein. „Jeder deutsche Manager hatte einen Schattenmanager aus China, der hinter ihm stand“, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter der Europazentrale.
Dieser Darstellung widerspricht ein Konzernsprecher auf Anfrage. Es gebe weder chinesische „Aufsichtspersonen“ noch eine gläserne Decke, und überhaupt: In Deutschland seien nur 59 Prozent des Managements direkt aus China entsandt.
Zugleich räumt er ein, es gebe in einigen Abteilungen „bewährte Doppelspitzen-Strukturen mit klarer und vernünftiger Aufgabenteilung“. Die lokalen Manager:innen kümmerten sich um lokale Kundschaft, Marktentwicklung und Einhaltung örtlicher Regeln. Das chinesische Management diene dagegen als Schnittstille zur chinesischen Führungsebene.
Klar ist: Für Nicht-Chines:innen gelten bei Huawei nach unseren Recherchen mutmaßlich andere Regeln. Sie erhielten weniger Zugang zu Informationen und würden aus wichtigen internen Entscheidungen ausgeschlossen, berichten unsere Quellen. Bei Meetings wechsele das Führungspersonal an entscheidenden Stellen mitunter ins Chinesische.
Auf unsere Anfrage betont der Konzern, die offizielle Arbeitssprache in Europa sei Englisch. Nach firmeninternen Regeln müssten Meetings unter Kolleg:innen aus verschiedenen Ländern in englischer Sprache laufen. Mehrere unserer Quellen klagten jedoch, die Englisch-Kenntnisse von Expats seien mitunter mangelhaft.
Eine „kleine chinesische Botschaft“ in Düsseldorf
Chinesische Angestellte, die in Europa arbeiten, seien „total isoliert“, sagt Gewerkschafterin Ulrike Saaber (Bild: Daniel Laufer)
Eine Quelle vergleicht den Düsseldorfer Standort von Huawei mit einer „kleinen chinesischen Botschaft“, in der chinesische Beschäftigte eine eigene Welt aufgebaut hätten. Aufgabenbereiche seien häufig so abgesteckt, dass es zu wenig Kontakt zwischen Angestellten aus China und von anderswo komme, erzählen Ex-Beschäftigte. Auch abseits der Arbeit sind die Welten von Chines:innen und Nicht-Chines:innen bei Huawei getrennt.
Was in der Firma wirklich vor sich gehe, erführen europäische Angestellte selten tagsüber auf der Arbeit, sagt ein ehemaliger deutscher Mitarbeiter. Allerdings fragten chinesische Kolleg:innen abends gelegentlich, ob man zusammen essen gehen wolle. „Nach ein paar Bierchen erfährt man, was in der Firma läuft und was nicht.“ Viele westliche Mitarbeiter:innen wollten sich darauf nicht einlassen und gingen lieber nach Hause.
Die Gewerkschafterin Ulrike Saaber von der IG Metall hat Kontakte zu mehreren früheren Huawei-Beschäftigten aufgebaut. Sie beschreibt gegenüber netzpolitik.org und seinen Recherchepartner:innen die enge Welt, in der sich chinesische Expats bewegen. „Die Chinesen, die in China ihre Wurzeln und ihre Familie haben, die nur hierher kommen um zu arbeiten, die sind total isoliert.“
Saaber zufolge kennen sie die deutschen Gesetze nicht und würden schon deshalb nicht versuchen, sie für sich zu beanspruchen. „Es ist oft so, dass diese Leute in ihrer Freizeit von Vertretern ihres Arbeitgebers zusammengehalten werden.“ Es gebe sogar Zusammenkünfte, bei denen die Expats auf die Firmenlinie „eingenordet“ würden. Huawei teilt auf Anfrage mit, gemeinsame Freizeitaktivitäten würden von interessierten Kolleg:innen selbstständig organisiert.
„Meeresschildkröten“ geben den Ton an
Jahr für Jahr schickt Huawei junge Chines:innen ins Ausland. In China heißen die Nachwuchskräfte, die sich fernab der Heimat ihre Sporen verdienen sollen, „Meeresschildkröten“. Ihr typisches Profil: jung, männlich, gut ausgebildet. In Huaweis europäischen Niederlassungen gibt es nach unseren Recherchen eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Die „Meeresschildkröten“ geben klar den Ton an.
Die Nachwuchskräfte stehen unter Druck: Harte Arbeitsbedingungen und ständige Kontrolle durch die Firma sind Alltag, der von Firmenchef Ren gerne beschworene „Wolfsgeist“.
Eine solche „Meeresschildkröte“ ist Joe. Vor rund fünf Jahren schickt Huawei den Mann in die Schweiz. Er verliebt sich in eine Europäerin, sie wird schwanger. Das berichtet Joe im gemeinsamen Gespräch mit unserer Recherchepartnerin Republik.
Lange Zeit versucht Joe, wie er erzählt, seine Freundin vor seinem Vorgesetzten geheimzuhalten, aber dieser erfährt dennoch von ihr. Eines Tages lädt der Mann ihn zum Abendessen ein. Nachdem Joe zwei bis drei Bier getrunken hat, stellt der Vorgesetzte die Frage: Habe er vor, die Frau zu heiraten?
Der Konzern will Joe versetzen, weg aus der Schweiz. Aber der Expat sträubt sich und die Firma droht ihm mit der Kündigung. Joe fürchtet nach eigenen Angaben um seine Sicherheit. Im Sommer 2018 zeichnet er ein Gespräch mit dem Personalchef als Video auf. Es soll beweisen, wie Huawei mit Mitarbeiter:innen umgeht, die sich eine Zukunft außerhalb Chinas wünschen. Die Aufnahme liegt uns vor.
Auf seiner Website schmückt Huawei sich mit dem Versprechen, ein fürsorgliches Arbeitsumfeld zu fördern, das eine gute Work-Life-Balance inspiriere.
In dem Video ist zu hören, wie Joe sagt: „Meine Frau bekommt bald unser Baby, also werde ich wahrscheinlich hier bleiben.“ Aber der Personalchef pocht darauf, dass Joe einer Versetzung zustimmt. „Die Firma hat das Recht zu entscheiden, wo Du arbeitest, und Du solltest unseren Anweisungen folgen.“ Joe weigert sich. Im Frühjahr 2019 verlässt er die Firma.
Ein internes Dokument mit dem sperrigen Titel „Entsendungs- und Mobilitätsmanagementverordnung“ zeigt, wie Huawei auch in Westeuropa über Teile des Privatlebens seiner Mitarbeiter:innen bestimmt hat. „Diejenigen, die eine Aufenthaltsgenehmigung in einem EU-Land erhalten haben oder deren Ehepartner:innen einen ständigen Wohnsitz in der EU haben, sowie diejenigen, die aus eigenen Stücken einen ständigen Wohnsitz in der EU beantragt haben, müssen Europa so schnell wie möglich verlassen“, schreibt die Firma auf Chinesisch in dem Dokument. „Wenn sie der Aufforderung nicht nachkommen, wird das Unternehmen ihr Arbeitsverhältnis kündigen.“
Huawei bestätigt auf Anfrage grundsätzlich, dass solche internen Bestimmungen existiert haben. Ein Sprecher teilt mit, der Konzern habe keine Meinung zu den Privatangelegenheiten seiner Angestellten. Expats wüssten jedoch im Vorhinein um die Bedingungen ihres Auslandsengagements. Wenn es zu Konflikten zwischen diesen und dem Privatleben des Beschäftigten komme, „muss der Mitarbeiter die internationale Einsatzrichtlinie von Huawei und die vom Mitarbeiter unterzeichnete internationale Einsatzvereinbarung einhalten“.
Tage später schreibt uns ein Sprecher auf einmal, die Regelung zur Aufenthaltsgenehmigung sei nicht mehr in Kraft – seit wann dies der Fall sei, wollte er jedoch auf Nachfrage nicht sagen.
„Bitte verrate niemandem, dass ich Deutsch lerne“
Fälle, in denen sich Ex-Angestellte von Huawei diskriminiert fühlen, landen in Deutschland und Spanien vor Gericht (Bild: Daniel Laufer)
Die Folge der knallharten Firmenpolitik ist offenbar ein Klima der Angst. Das Misstrauen beginnt laut Erzählungen unserer Düsseldorfer Quellen bereits, wenn Expats Kenntnisse lokaler Sprachen erwerben. „Bitte verrate niemandem, dass ich Deutsch lerne“, soll etwa ein chinesischer Mitarbeiter zu einem früheren Kollegen gesagt haben, der mit uns sprach.
In Spanien landet 2018 ein Fall vor Gericht, der zeigt, wie Huawei offenbar bei der Familienplanung seiner Angestellten mitreden will. Klägerin ist eine Frau, die in dem Verfahren unter dem Pseudonym Ana geführt wird. Sie wirft der Firma sexistische Diskriminierung vor. Ana ist Chinesin, ein Expat. Fast ein Jahrzehnt lang hat sie in führender Position in der Finanzabteilung des Konzerns gearbeitet. Huawei schickt sie nach Spanien, wo sie einen Einheimischen heiratet.
Mit dem Kinderwunsch der Frau beginnt der Ärger. Zweimal erleidet sie eine Fehlgeburt, zweimal meldet sie sich danach krank. Huawei behauptet, Anas Arbeitsleistung habe abgenommen, und streicht ihr die jährlichen Bonuszahlungen, wie aus Gerichtsunterlagen hervorgeht. Als sie eine Fruchtbarkeitsbehandlung beginnt und sich wieder krank meldet, feuert der Konzern die Frau.
Ana zieht vor Gericht. In einer schriftlichen Eingabe im Verfahren erhebt ihr Anwalt schwere Vorwürfe gegen Huawei: „Die Entscheidung, die Arbeitnehmerin wegen der während ihrer Schwangerschaften erlittenen Schwangerschaftsabbrüche bei der Entlohnung zu benachteiligen, ist nicht bloß ein Indiz, sondern ein direkter Beweis für eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, die sich aus ihren beiden vereitelten Mutterschaftsprozessen ergibt.“
Das Gericht urteilt zu Anas Gunsten: Die Kündigung sei nicht rechtens gewesen, auch wenn der Zusammenhang mit der Kinderwunschbehandlung nicht ausreichend belegt sei. Gegenüber netzpolitik.org und seinen Recherchepartner:innen betont ein Sprecher von Huawei, die spanische Justiz habe nie geurteilt, dass die Kündigung wegen der Diskriminierung einer Schwangeren erfolgt sei.
Im Laufe des Verfahrens scheint jedoch ein Muster deutlich zu werden: Eine Betriebsrätin der spanischen Tochterfirma erklärt vor Gericht, sie wisse von mindestens fünf Frauen, die Mütter geworden seien und ihren Job bei Huawei verloren hätten. Drei von ihnen seien Chinesinnen.
Wer kündigt, muss seine Gewinnanteile verkaufen
Dass Huawei glaubt, seinen Angestellten all dies zumuten zu können, und trotzdem kaum jemand rebelliert, hat Gründe. Sie hängen auch mit der Art und Weise zusammen, wie das Unternehmen seine chinesischen Mitarbeiter:innen bezahlt.
Nach einiger Zeit, die sie für Huawei arbeiten, erhalten sie Anteilsscheine an der Firma, die formell zu 99 Prozent im Eigentum der Gewerkschaft steht. Mit den Anteilsscheinen werden Angestellte am Gewinn beteiligt. Nach Darstellung des Konzerns geschieht dies, um sie zu motivieren. Für sie scheint das Modell lukrativ – allerdings nur solange, bis sie etwas anderes wollen als Huawei.
Denn die Firma gehört ihren Angestellten nicht wirklich: Wer kündigt oder gefeuert wird, den zwingt der Konzern, ihm die Anteile zurück zu verkaufen. Das entspreche „unseren seit langem etablierten, allgemein bekannten und vertraglich fixierten Regeln in diesem Bereich“, so ein Sprecher von Huawei. Ausnahmen gebe es nur für langjährige, ältere Mitarbeiter:innen, die ihre Anteilsscheine behalten dürften, wenn sie in Rente gingen.
Für Männer liegt das Renteneintrittsalter in China bei 60 Jahren, für Frauen bei 55 Jahren. Bei Huawei ist es laut unseren Quellen hingegen üblich, schon Mitte 40 die Karriere zu beenden. Kommen langjährige chinesische Manager:innen in dieses Alter, lassen sie sich häufig den Wert ihrer Firmenanteile ausbezahlen und setzen sich faktisch zur Ruhe.
Entscheidet sich ein Expat gegen eine Rückkehr nach China, verliert er also nicht nur seinen Arbeitsplatz, sondern auch diese Form der Altersvorsorge. „Huawei ist ein Betrieb, kein Gefängnis: Wer kündigen möchte, kann kündigen. Aber diese Entscheidung ist nicht leicht“, sagt eine Quelle, die mehr als fünf Jahre für die Europazentrale in Düsseldorf gearbeitet hat, unter anderem in der Personalabteilung.
Strenges Rotationsprinzip für Expats
Der Konzern wolle unbedingt verhindern, dass Expats außerhalb Chinas Wurzeln schlagen und ein Aufenthaltsrecht in europäischen Staaten erhielten, erzählt eine Quelle, die mehrere Jahre im Dienste des Konzerns stand. „In der Firma wird es als Verrat erachtet, eine Einheimische zu heiraten und eine andere Staatsbürgerschaft anzunehmen“, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter von Huawei in London unserem Recherchepartner The Daily Telegraph.
Eine Methode, mit der die Firma die Loyalität chinesischer Angestellter erzwingen will, ist das strenge Rotationsprinzip. Kein Expat soll länger als fünf Jahre im selben Land bleiben, solange er oder sie sich außerhalb der Heimat befindet. Der Konzern wolle verhindern, dass Chines:innen eine enge Bindung an ihr Gastland entwickelten, berichten mehrere Quellen.
Offenbar weigert sich Huawei kategorisch, hierbei Kompromisse zu machen. „Nach Abschluss eines fünfjährigen, ununterbrochenen Einsatzes in einem Land werden Expats, die keine Kundenkontakte haben, unabhängig von allen Faktoren umgesiedelt“, steht in der „Entsendungs- und Mobilitätsmanagementverordnung“ für Westeuropa.
In dem internen Dokument macht die Firma klar, worum es ihr wohl wirklich geht: Kontrolle. „Diese Regelung soll gewährleisten, dass sich Expats an die Vereinbarungen des Unternehmens halten.“
Für den Konzern sei „das Rotationsprinzip wichtig und unverzichtbar auf vielen verschiedenen Ebenen“, so ein Huawei-Sprecher. Die ständigen Ortswechsel erlaubten der Organisation flexibel zu bleiben, Angestellte könnten Erfahrungen in verschiedenen Rollen und Ländern sammeln.
Veteran:innen aus der Telekombranche gesucht
Huawei schätzt Angestellte mit Arbeitserfahrung bei der Konkurrenz, wie interne Dokumente zeigen (Bild: Daniel Laufer)
Huawei steht im Westen seit Jahren unter Spionageverdacht. Großbritannien, Schweden, Australien und andere Staaten haben den Einbau von Huawei-Komponenten in ihre 5G-Netze verboten. In den USA ist die Firma praktisch gänzlich vom Markt ausgeschlossen. Im Dezember berichtete die Welt am Sonntag, ein Manager habe Mitarbeiter:innen in Deutschland aufgefordert, die Software eines Konkurrenten auszuforschen und nachzubauen. Die Firma wies den Vorwurf zurück. Vorwürfe gegen Huawei, dem chinesischen Staat bei der Spionage zu helfen, sind bislang unbewiesen. Doch fraglos ist, dass der Konzern eine Schlüsselrolle im chinesischen Streben nach technologischer Eigenständigkeit und Vormacht spielt.
Das Buch „The Management Transformation of Huawei“ erzählt die Geschichte des Konzerns nach. Bei seiner Bestrebung, außerhalb Chinas Fuß zu fassen, sei er nicht mit offenen Armen empfangen worden. Als Reaktion darauf habe er neben den Expats auch lokale Mitarbeiter:innen in den Gastländern einstellen müssen, schreiben Wen Li, Xiaoran Chan und Bin Guo.
In Deutschland heuert Huawei nach unseren Recherchen gerne Veteran:innen aus der Telekommunikationsbranche an, die sich von den Gehältern des chinesischen Konzerns locken lassen. In der Europazentrale in Düsseldorf schart er erfahrenes Personal um sich.
„Ein paar Jährchen bei Huawei schaden niemandem, der in dieser Branche arbeiten möchte, weil man wirklich viel lernen kann“, sagt ein ehemaliger deutscher Manager, der 2019 gekündigt hat. In jenem Jahr sei Huawei der „größte Gorilla im ganzen Markt“ gewesen. Auch eine weitere Person, die für die Firma in Düsseldorf gearbeitet hat, sagt: „Meine Zeit bei Huawei bereue ich nicht, ich habe viel gelernt.“
Besonders schätzt Huawei offenbar ehemalige Angestellte der Konkurrenz, wie firmeninterne Unterlagen verdeutlichen, die netzpolitik.org und seine Recherchepartner:innen einsehen konnten. In Personalbögen erfasst der Konzern auch die frühere Arbeitserfahrung seiner Beschäftigten. Eine Zeile ist für Hersteller reserviert, Namen wie Cisco, Ericsson, ZTE. Die nächste Zeile ist für Arbeitserfahrung bei möglichen Kunden, etwa T-Mobile und Telefonica.
Personaldaten ihrer deutschen Angestellten geben Huaweis Tochterfirmen an den Stammsitz in China und eine Niederlassung in Malaysia weiter, was im vergangenen Jahr durch eine Klage bekannt wurde. Wie die WirtschaftsWoche berichtete, sprach das Arbeitsgericht Düsseldorf dem Angestellten Schadensersatz von Huawei zu, weil der Konzern die Auskunft darüber verweigerte, welche Daten er über ihn gesammelt hatte und was mit diesen geschehen war.
Bei Huawei arbeiten kaum Angestellte über 50
Von seinen europäischen Manager:innen verlangt Huawei Disziplin und Loyalität ebenso wie von den Expats. Doch die Treue, welche die Firma einfordert, hält sie vor allem gegenüber älteren europäischen Beschäftigten nur bedingt ein.
Wir haben mit mehreren früheren Mitarbeiter:innen gesprochen, die der Konzern vor die Tür gesetzt hat. Ihre Schilderungen gleichen einander: „Ich habe immer alles genau nach Vorschrift gemacht“, sagt eine unserer Quellen. Trotzdem habe Huawei sie gefeuert, nach mehreren Jahren treuer Dienste. Ihren Namen möchte sie nicht im Netz lesen, dafür habe sie schon genug Ärger mit der Firma gehabt. Ihr einziges Vergehen war ihrer eigenen Darstellung zufolge ihr Alter.
Wie wenige ältere Beschäftigte der Konzern hat, sieht Huawei dem Anschein nach als Auszeichnung. Von weltweit 194.000 Angestellten seien nur zwei Prozent über 50 Jahre alt, schrieb die Firma 2019 auf ihrer Website.
Huawei sehe es nicht gerne, wenn jemand über seinen 60. Geburtstag hinaus bei der Firma angestellt sei, berichten mehrere unserer Quellen übereinstimmend. Wer nicht freiwillig geht, den befördert Huawei demnach mit Druck hinaus.
Details über eine Reihe solcher Fälle können wir nicht schreiben, weil sie Rückschlüsse auf die Identität der Betroffenen zulassen könnten. Dies würde sie womöglich einer rechtlichen Revanche des Konzerns aussetzen. Ihnen zufolge ist Huawei in der Wahl seiner Mittel nicht zimperlich, um Beschäftigte vorgerückten Alters loszuwerden.
In Deutschland landen mehrere Fälle vor Gericht, in denen Huawei Beschäftigte, die etwa 50 oder älter waren, ohne offenkundigen Anlass vor die Tür gesetzt hat. Einige Verfahren sind längst abgeschlossen, Huawei zahlte hohe Summen an Entschädigung. Doch rechtlichen Ärger nimmt der Konzern anscheinend in Kauf, um unliebsames Personal nach Jahren guter Dienste loszuwerden.
Ein ehemaliger deutscher Manager, der fast zehn Jahre lang für die Europazentrale gearbeitet hat, sagt, er habe von Kündigungen gehört, die formal nicht korrekt gewesen seien, weil es zuvor zum Beispiel keine Abmahnung gegeben habe. „Das wird dann mit Geld geklärt – der Firma ist das völlig egal. Hauptsache, das Problem ist gelöst.“
Am liebsten ist es Huawei wohl, wenn die Betroffenen von selbst gehen. Zu den Taktiken des Konzerns soll es gehören, ihnen sinnlose oder überhaupt keine Aufgaben mehr zu geben, sowie sie an andere Arbeitsplätze zu versetzen, manchmal auch an andere Standorte des Unternehmens. Dies geschehe, um den Alltag der Betroffenen zu stören und ihnen das Gefühl zu vermitteln, bei Huawei nicht mehr willkommen zu sein, lautet die Interpretation eines Betroffenen. Manche reden von Schikane. Huawei teilt auf Anfrage mit, keine solchen Maßnahmen zu ergreifen.
Vorwürfe werden auch in einem anderen europäischen Land laut, in dem der Konzern Geschäfte macht. Ein Arbeitsgericht in Madrid kommt im November 2020 zu dem Schluss, dass Huawei fünf seiner spanischen Beschäftigten mittleren Alters ohne triftigen Grund entlassen hat. Der Richter urteilt, Huawei habe sie wegen ihres Alters diskriminiert.
Das Gericht spricht den Betroffenen eine Entschädigung von je 20.000 Euro zu. Dass solche Kündigungen Firmenpolitik seien, zeige eine Rede von Ren Zhengfei, heißt es in der Begründung. Der Gründer habe erklärt, dass Beschäftigte über 50 und über 60 die Firma Millionen Euro an zusätzlichen Ausgaben kosteten. Ein deutscher Konzernsprecher beharrt darauf, Rens Aussage sei aus dem Kontext gerissen worden: Dieser habe die Angestellten eigentlich ermutigen wollen.
Den Vorwurf der Altersdiskriminierung weist Huawei auf Anfrage „strikt zurück“.
Die Angst vor einem Betriebsrat
Der Umgang von Huawei mit seinen Beschäftigten sorgt auch bei Gewerkschaften für Frustration. Versuche, an Huaweis Europazentrale in Düsseldorf einen Betriebsrat zu gründen, seien bislang fruchtlos geblieben, berichtet Ulrike Saaber von der IG Metall.
Ein Konzernsprecher schreibt uns, Huawei respektiere das Betriebsverfassungsgesetz und habe nichts getan, um die Bildung eines Betriebsrats zu verhindern. „Die Initiative zur Bildung eines Betriebsrates liegt bei den Angestellten, nicht der Firma.“
Saaber zufolge hat die Gewerkschaft immer wieder versucht, Kontakt zu Angestellten aufzunehmen, doch chinesische Beschäftigte entzögen sich ihr. „Weil die Angst haben“, sagt sie. Wenn es jedoch niemanden gebe, der sich zum Betriebsrat wählen lasse, dann stehe man auf verlorenem Posten. „Das untergräbt das Betriebsverfassungsgesetz, das eigentlich vorsieht, dass ab fünf Mitarbeitern ein Betriebsrat zu bilden ist“, sagt Saaber.
Lediglich in einer deutschen Tochterfirma von Huawei dürfen die Beschäftigten eigene Vertreter:innen bestimmen. Huawei hatte 2016 mehrere hundert Angestellte von Ericsson übernommen, die meisten davon Gewerkschaftsmitglieder. Nach Monaten der Verhandlung und Streikdrohungen der Beschäftigten gab Huawei klein bei, die Huawei Technologies Service GmbH musste gewerkschaftliche Tarifverhandlungen und einen Betriebsrat akzeptieren.
Doch selbst das ändere wenig an den Machtverhältnissen in der Tochterfirma, mutmaßt Saaber. „Ich persönlich hatte bei der Huawei TS immer nur zu den deutschen Vertretern Kontakte, auch wenn klar war, dass hinter jedem deutschen Geschäftsführer oder Personalleiter irgendeine chinesische Spiegelfigur steht.“ Die Strukturen seien streng hierarchisch. „Die deutschen Geschäftsführer haben wenig zu sagen und müssen sich immer bis nach China abstimmen. Sie dürfen eigentlich nichts alleine entscheiden.“
Ein Problem seien die Verhältnisse bei Huawei nicht nur für die Beschäftigten des Konzerns, sondern auch für dessen Konkurrenz. „Wenn Arbeitnehmerrechte nicht eingehalten werden – sei es bezüglich Arbeitszeit oder Bezahlung –, können solche Unternehmen billiger anbieten. Sie sind ohne Probleme rund um die Uhr einsatzfähig und verzerren dadurch den Wettbewerb.“
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter der Führung von Hubertus Heil (SPD) wollte sich auf Anfrage von netzpolitik.org und seinen Recherchepartner:innen nicht zu dem Fall Huawei äußern. Man kommentiere Einzelfälle grundsätzlich nicht, teilte ein Sprecher mit.
„Zweiter zu werden, ist keine Option“
Wer Fehler mache, müsse mitunter in maoistischer Manier in internen Meetings „Selbstkritik“ üben, erzählen frühere Beschäftigte (Bild: Daniel Laufer)
Huawei selbst vertrete die Position, dass der einzige Weg, Chancen zu erhalten, harte Arbeit sei, schrieb 2015 die Harvard Business Review in einem lobenden Artikel. Sie bezeichnete die Firmenkultur des Konzerns als „Schlüssel zum Erfolg“. Für manchen Angestellten ist sie hingegen eher eine Last, wie unsere Recherchen zeigen. Denn der Erfolgsdruck innerhalb des Unternehmens ist enorm.
„Wer nichts verkauft kriegt, muss damit rechnen, degradiert zu werden“, sagt uns eine Quelle, die lange in der Europazentrale tätig war. Für die Firma sei es dabei unerheblich, ob der Erfolg wegen der eigenen Leistung ausbleibe oder wegen äußerer Bedingungen, auf die Angestellte keinen Einfluss haben. Eine weitere Person, die mehr als fünf Jahre bei dem Unternehmen gearbeitet hat, fasst die Managementphilosophie folgendermaßen zusammen: „Zweiter zu werden, ist für Huawei keine Option.“
Der strenge, „wölfische“ Korpsgeist des Konzerns ist Teil der Firmenfolklore und zugleich gelebter Alltag. Neue Angestellte in der Konzernzentrale in Shenzhen müssten ein zweiwöchiges Bootcamp über sich ergehen lassen, berichtete die Washington Post. Zu seinen Bestandteilen gehörten tägliche Trainingsläufe um fünf Uhr morgens und Kurse, die tatsächlich den Namen „Gehirnwäsche“ trägen.
Wie tief militärische Denke im Unternehmen verwurzelt ist, macht auch eine gerahmte Kalligrafie deutlich, die der New York Times zufolge in der Konzernzentrale an der Wand hängt. In chinesischer Schrift steht dort: „Aufopferung ist die höchste Pflicht eines Soldaten. Der Sieg ist des Soldaten größter Beitrag.“
Fehler stehen intern am Pranger
Unsere Quellen berichten übereinstimmend, wie Huawei seine chinesischen Mitarbeiter:innen regelmäßig für deren angebliches Scheitern abstrafe, häufig vor den Augen oder Ohren von Kolleg:innen – auch am Standort Düsseldorf. Über interne E-Mail-Verteiler lasse das Unternehmen mitunter alle wissen, wer sich nach Ansicht von Huawei nicht ordnungsgemäß verhalten habe und welche Sanktionen darauf verhängt worden seien. Für die Fehltritte Einzelner zieht die Firma demnach auch deren Führungskräfte zur Verantwortung. Innerhalb des Konzerns haften sie wie Eltern für ihre Kinder.
Mitunter kommt es offenbar zu dem, was ehemalige Angestellte „Kritik und Selbstkritik“ nennen, in Anlehnung an ein kommunistisches Ritual, ganz im Geiste von Maos Kulturrevolution. So habe ein chinesischer Manager in einer Telefonkonferenz eine Art Schuldgeständnis ablegen müssen, nachdem ein Bieterverfahren gescheitert sei, erzählt uns eine nicht-chinesische Quelle, die daran nach eigenen Angaben selbst teilgenommen hat. Alle Anwesenden seien aufgefordert worden, Kritik an dem Mann zu üben. Unsere Quelle sagt, ihr sei dies sehr unangenehm gewesen. Kurz darauf habe Huawei den Manager aus Düsseldorf zurück nach China geschickt.
Selbstreflexion sei „ein wichtiges Prinzip unserer Firmenkultur“ und diene der Optimierung des Unternehmens und seiner Produkte und Dienstleistungen, gibt Huawei an. Führungskräfte seien aufgefordert, in Teamsitzungen die Lage zu besprechen und „Verbesserungspotenzial“ auszuloten.
Beschwerden über Arbeitszeiten bei Huawei
Auch bei den Arbeitszeiten verfolgt die Technologiefirma einen Kurs, der in Europa eher unüblich ist. Zu den Arbeitsbedingungen bei Huawei gehört eine Anwesenheit jenseits der Kernarbeitszeiten. Für Beschäftigte in China galt lange das sogenannte 9-9-6-Prinzip. Das heißt, erwünscht ist dort die Anwesenheit im Büro von neun Uhr morgens bis neun Uhr abends, an sechs Tagen der Woche. In den Anfangsjahren verteilte Huawei sogar Decken und Matratzen an neue Mitarbeiter:innen, heißt es in der quasi-offiziellen Firmenbiographie „The Huawei Story“.
In Düsseldorf sind Arbeitszeiten von 9 bis 18 Uhr die Regel, zumindest auf dem Papier, nach Erzählungen früherer Angestellter verlangt Huawei Mitarbeiter:innen in einigen Abteilungen aber wesentlich mehr Stunden ab. Ex-Beschäftigte erzählen von Meetings in der Europazentrale, die um 22 Uhr angesetzt würden, und von Büroräumen, in denen auch an Sonntagen eifriger Betrieb herrsche. Chinesische Beschäftigte schliefen in Einzelfällen auch mal im Büro, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter.
Das ist mit dem deutschen Arbeitsrecht kaum vereinbar. Über Jahre hinweg hätten Beschäftigte am Standort Düsseldorf in einem System zur Zeiterfassung nur ihre Ankunft eintragen können, berichten unsere Quellen, das Unternehmen habe aber keine Aufzeichnungen über das Ende von Arbeitstagen zugelassen. Nicht-chinesische Angestellte hätten rebelliert und seien seither faktisch von der Regelung befreit. Expats jedoch bleibt unseren Quellen zufolge eine ordentliche Aufzeichnung ihrer Arbeitszeiten verwehrt.
Gegenüber netzpolitik.org und seinen Recherchepartner:innen pocht ein Konzernsprecher darauf, dass man gar nicht die Arbeitszeit erfasse, sondern bloß die Anwesenheit der Angestellten. Zugleich räumt er ein, dass es tatsächlich Beschwerden über deren Erfassung in der Europazentrale gegeben hat. Auch die zuständige Behörde bestätigt, dass arbeitsrechtliche Beschwerden eingegangen seien. Über solche hatte zuerst die Welt am Sonntag berichtet. Schon seit 2018 werde Huawei „auf die Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften überprüft, insbesondere zu den Regelungen im Arbeitszeitgesetz“, teilt die Bezirksregierung Düsseldorf uns mit.
Huawei selbst erklärt, man halte geltendes Arbeitsrecht ein. Angestellte dürften „auf freiwilliger Basis“ auch nach 20 Uhr abends arbeiten, solange sie dabei die Höchstarbeitszeit von zehn Stunden am Tag nicht überschreiten. „Es ist nicht der Fall, dass Mitarbeiter regelmäßig die Nacht im Büro verbringen“, so ein Konzernsprecher.
Image und Wirklichkeit
Die Sinologin Mareike Ohlberg, die für die Denkfabrik German Marshall Fund arbeitet, sieht Huawei in einem Zwiespalt. Am wichtigsten sei für den Konzern weiterhin der chinesische Markt, sagt sie gegenüber netzpolitik.org und seinen Recherchepartner:innen. Also müsse er seine Loyalität zur Kommunistischen Partei betonen. Nach außen versuche Huawei sich aber zugleich als offenes Unternehmen darzustellen. „Das passiert größtenteils in der Rhetorik und nicht in der Praxis.“
Ohlberg rät, den gleichen Maßstab anzulegen wie für andere Technologiefirmen wie Google oder Apple. Nur weil das Unternehmen aus China stamme, müsse man ihm nicht zugestehen, seine Angestellten schlecht zu behandeln. Wenn es auf dem deutschen Markt oder in anderen westlichen Ländern tätig sei, müsse es sich auch an entsprechende ethische Standards halten.
„Von den Rechten, die man als Arbeitnehmer hat, ist man in China häufig um einiges schlechter gestellt als hier“, sagt Ohlberg. „Wenn Mitarbeiter hier lokal angestellt werden, stoßen Arbeitskulturen und verschiedene Umgangsweisen aufeinander.“ Nach ihrer Einschätzung besteht bei Huawei jedoch wenig Interesse daran, die Firmenkultur nachhaltig zu verändern.
„Helden werden geschmiedet, nicht geboren“
Die Bebilderung einer Broschüre, die der Konzern an seine Angestellten verteilt, sagt viel darüber aus, wie er diese zu sehen scheint. Als wäre der Mensch ein Rohstoff, den man in einer Fabrik zum perfekten Soldaten verarbeiten könne. Eine Grafik zeigt ein zerschossenes russisches Kampfflugzeug aus dem Zweiten Weltkrieg, das trotzdem weitergeflogen sei, wie Huawei im Begleittext hervorhebt. Die Bildunterschrift lautet: „Helden werden geschmiedet, nicht geboren.“
Eine Firmenbroschüre nutzt martialische Motive, um Angestellte zu entschlossenem Handeln zu motivieren (Bild: Huawei)
Offenkundig versucht der Konzern, seine Angestellten mit dieser Managementrhetorik einzuschwören. Ehemalige Beschäftigte aus Europa, mit denen wir gesprochen haben, hielten sie für befremdlich. Gelebt wird sie in dem Konzern offenbar dennoch. Huawei biete eine Atmosphäre mit hohem Druck, aber wenig Unterstützung oder positivem Feedback, sagen unsere Quellen.
Führungskräfte würden mit chinesischen Angestellten selbst bei kleinstem Fehlverhalten laut. Schuld daran sei das Managementsystem. In diesem wechselten Führungskräfte häufig zwischen recht unterschiedlichen Abteilungen hin und her. Mehrere Quellen erzählen von Chefs, die fachlich gut informiert seien, denen aber schlussendlich Menschenkenntnis und Führungserfahrung fehlten. „Das ist eine Nerdbude“, sagt auch ein langjähriger deutscher Beschäftigter, der Huawei seither im Guten verlassen hat.
Die Firma beteuert auf Anfrage, das Motiv mit dem Kampfflugzeug habe „nichts Konkretes mit der täglichen Arbeit bei Huawei zu tun“. Doch die Grafik war auch in einer E-Mail zu sehen, die nun netzpolitik.org und seinen Recherchepartner:innen vorliegt. Die Personalabteilung der Europazentrale verschickte sie bereits im August 2019 über einen Verteiler an Mitarbeiter:innen.
Die E-Mail enthält eine Rede, die Ren Zhengfei bei einer Vereidigungszeremonie für Angestellte gehalten haben soll. Demnach sagte der Gründer dort, Huawei müsse die Fähigkeiten seiner „Sprengstoffteams“ verbessern, die am nächsten an den Kund:innen seien. Die Rede ist vom „Lärm der Artillerie“, den Mitarbeiter:innen im Außendienst hören könnten. Sie sollten „regionale Feldarmeen“ bilden.
Ein Sprecher von Huawei teilt mit, er könne keine allgemeine kriegerische Unternehmensrhetorik erkennen.
Rommel als Inspiration
Dabei sind die militärischen Metaphern tief verankert in der DNS des Konzerns. Fast ein Jahrzehnt lang arbeitete Ren Zhengfei als Ingenieur für die chinesische Volksbefreiungsarmee. Als er Huawei 1987 gründete, belieferte die Firma zunächst das Militär.
Auch im Alltag sprechen Führungskräfte bei Huawei unseren Quellen zufolge gerne von „Generälen“ und vermeintlichen „Schlachten“ an einer „Front“. In einer E-Mail an Beschäftigte der Europazentrale soll Huawei als Inspirationsquelle mindestens einmal auf den Wehrmachtsgeneral Erwin Rommel verwiesen haben. Auch auf der Website von Huawei findet sich bis vor Kurzem noch ein chinesischsprachiger Eintrag, der Rommel als „unbesiegbaren“ Feldherren in Nordafrika anpries.
„Siegessprache“ nennt ein Ex-Beschäftigter die martialische Ausdrucksweise. Einige nicht-chinesische Angestellte fanden sie offenbar in höchstem Maße irritierend. Ein Konzernsprecher beteuert, es gebe bei Huawei schon aus Prinzip keinen positiven Bezug zu Nazideutschland.
Die kriegerische Rhetorik und die fragwürdige Bezugsfigur passen nicht nur in die Weltsicht des Konzerns, sie sind sogar ein Kernelement seines Denkens. Firmengründer Ren sehe wirtschaftlichen Wettbewerb als „ständigen Kampf ums Überleben“, schreibt der emeritierte Managementprofessor Eric Flamholtz von der University of California, der Huawei studiert hat. Demnach sieht Ren die Firmenkultur als „ultimative Waffe“.
Die Recherche
Dieser Artikel ist das Ergebnis einer monatelangen Auswertung von Dokumenten, zu denen Medienpartner:innen von The Signals Network recherchiert haben, darunter The Daily Telegraph (Großbritannien), El Mundo (Spanien), Republik (Schweiz) und netzpolitik.org. The Signals Network koordinierte die Zusammenarbeit bei dieser internationalen Recherche.
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